31. Januar 2020 Thema: Blog Von Sven Bortlisch
Nach der Vorstellung des Wirtschaftsflächenkonzepts und der extra dafür einberufenen Wirtschaftsausschusssitzung wird in Mülheim heiß diskutiert. Diverse alte und neue Bürgerinitiativen kommen auf uns zu und fragen zu recht, welche Position die SPD-Fraktion, welche die Mülheimer SPD, zu diesem Thema und besonders zur Bebauung von Freiflächen hat. Grund genug, sich noch einmal ausführlich mit den Hintergründen unserer Entscheidungsfindung auseinander zu setzen.
Mülheim an der Ruhr gehört landes- wie bundesweit zu den Städten mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung. Der größte Teil unserer Schulden resultiert aus der ständigen Verletzung des sog. „Konnexitätsprinzips“ vor allem im Sozialbereich. Hierunter versteht man, dass die staatliche Instanz, die für eine Aufgabe verantwortlich ist, auch für die Finanzierung sorgen muss.
Die Stadt Mülheim hat in den vergangenen Jahren auf die steigende Verschuldung zum einen durch die Streichung bzw. Kürzung von Ausgaben für Aufgaben, für die keine gesetzliche Verpflichtung besteht, reagiert. Prägnante Beispiele hierfür sind die Schließung öffentlicher Einrichtungen wie Büchereien sowie Einschränkungen kommunaler Dienstleistungen aufgrund von Stellenstreichungen. Die schleichende Verschlechterung des Zustandes unserer Straßen ist ein Beleg dafür, dass auch die zur Verfügung stehenden Investitionsmittel nicht ausreichen, um die Substanz unsrer Infrastruktur zu erhalten.
Die strengen Auflagen der Bezirksregierung zur Genehmigung der städtischen Haushalte, die mit weiteren Sparmaßnahmen in dreistelliger Millionenhöhe einher gingen, haben die o.g. Situation weiter verschärft. Der Rat hat daher in der Vergangenheit durch Erhöhungen der Grund- und Gewerbesteuerhebesätze die Einnahmen für den Haushalt erhöht. Für uns ist dieser Weg jedoch nicht fortsetzbar, ein weiteres Drehen an der Steuerschraube ist nicht zu vertreten.
Nur eine Neuordnung der Kommunalfinanzen (Stichwort „Altschuldenfonds“) wird Städte wie Mülheim aus der Schuldenfalle befreien können. Aber auch die Stadt selbst muss weitere Anstrengungen zur Erhöhung von Einnahmen jenseits der Steigerung von Hebesätzen verfolgen. Das bedeutet nach unserer Auffassung vor allem, geeignete Rahmenbedingungen zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes zu erhalten bzw. zu schaffen. Dies erfolgt durch kommunale Unterstützung beim Erhalt und Ausbau der bestehenden Unternehmen und Ansiedlung neuer Unternehmen als Gewerbesteuerzahler. Vom Wachstum der Wohnbevölkerung durch Erschließung und Entwicklung von Wohngebieten profitiert die Stadt Mülheim in Form einer höheren Lohnsteuerumlage. Nur wenn wir die Einnahmeseite unserer Stadt stabilisieren und vergrößern, können wir Leistungen für unsere Bürger ausbauen, preislich verbessern oder sogar perspektivisch die hohen Grund- und Gewerbesteuerhebesätze senken.
Das aktuelle, von Mülheim & Business beauftragte Gutachten zum Wirtschaftsflächenkonzept weist für Mülheim eines der niedrigsten Gewerbeflächenpotenziale im Ruhrgebietsvergleich auf. Der Regionalverband Ruhr (RVR) hat jedoch einen Bedarf an Industrie- und Gewerbeflächen von rd. 88 ha festgestellt. Die Gutachter kommen zu dem Schluss, dass unsere Stadt vor dem Hintergrund der anhaltend hohe Nachfrage von ansiedlungs- oder expansionswilligen Unternehmen „praktisch nicht handlungsfähig“ ist. Das hat zur Folge, dass sich Mülheim in den letzten Jahren von der wirtschaftlichen Dynamik vergleichbarer Städte in NRW quasi abgekoppelt hat. Dies ist ein wesentlicher Grund nicht nur für das unterproportionale Gewerbesteueraufkommen, sondern führte auch im Städtevergleich zu einem überdurchschnittlich hohen Anteil von Transferleistungsempfängern.
Wirtschaft ist jedoch kein Selbstzweck. Wir verschreiben uns dem Credo „Umweltschutz ist Wirtschaftsförderung“. Die Bewahrung unserer grünen Heimatstadt und die Förderung innovativer Unternehmen gehören für uns zusammen.
Die Sondersitzung des Wirtschaftsausschusses am 14. Januar diente einer ersten Lesung des Konzeptes der Wirtschaftsförderung. Die Politik hat der Verwaltung damit den Auftrag erteilt, eine grundsätzliche Prüfung der darin enthaltenen Grundstücke im Hinblick auf die Eignung für gewerbliche Zwecke vorzunehmen. Bereits in der Ratssitzung im Juli 2018 wurden auf unsere Initiative in einem interfraktionellen Antrag die Kriterien für eine solche Untersuchung beschlossen. Diese umfassen
Der Wirtschaftsausschuss hat diesen Beschluss nochmals bestätigt und die Ausarbeitung einer Entscheidungsmatrix verlangt. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass auch die vorgelegten Eingaben der Bürgerinitiativen Bestandteil dieser Prüfung sein werden.
Für uns ist klar, dass bei Entscheidungen über eine gewerbliche Nutzung von Flächen der sogenannten „Innenraumentwicklung“, also Freiflächen auf bebautem Gelände, der Vorrang vor der Bebauung auf der „grünen Wiese“ gegeben wird. Als Restriktion gilt hier jedoch, dass die Kommune keinen uneingeschränkten Zugriff auf die (Um-) Nutzung bislang nicht oder nicht mehr genutzter privater Gewerbeflächen hat. Am Beispiel der sog. „Mannesmann-Brache“ wird dies deutlich, dass ohne Mitwirken des Eigentümers keine Bewegung zu erzielen ist. Im Falle des Tengelmann-Areals in Speldorf besteht jedoch die Chance, durch planerische Vorgaben einen weiteren Totalverlust an Gewerbeflächen zu verhindern.
Auf der anderen Seite bedeutet die Erschließung von Freiflächen nicht zwangsläufig einen Verlust an Umweltqualität: So kann die Umwandlung eines Ackers, der bislang in intensiver Landwirtschaft betrieben wurde, dann zu einem positiven Umweltsaldo führen, wenn hier ein innovatives, unter ökologischen Gesichtspunkten konzipiertes Gewerbegebiet entsteht. Stadtentwicklung darf nicht ausschließlich unter Berücksichtigung finanzieller Aspekte erfolgen. Klimatologische Fragen, wie beispielsweise die Auswirkungen auf Kaltluftentstehung und -abfluss, sowie energiepolitische Ziele haben für uns eine besondere Stellung. Das gilt gleichermaßen für die Etablierung einer konsequenten Kreislaufwirtschaft.“
Mit dem Grundsatzbeschluss des Wirtschaftsausschusses ist die Verwaltung aufgefordert, Bau- und Umweltrecht unter Innovations- und Sozialaspekten prüfen, danach müssen Flächen priorisiert werden und dies geht nur unter Beteiligung aller Akteure. Unser Ziel ist die Einrichtung eines dauerhaften „Runden Tisches“ aus Verwaltung, Wirtschaftsförderung, Umweltverbänden, IHK, Unternehmerverband, Gewerkschaften und lokalen Bürgerinitiativen, um zu einem gesellschaftlichen Konsens zwischen Umwelt, Wirtschaft und sozialen Erfordernissen zu gelangen.
Auch der Parteivorsitzende Rodion Bakum und unsere Oberbürgermeisterkandidatin Dr. Monika Griefahn äußern sich zu dieser Thematik. Die beiden Stellungnahmen finden Sie hier: